Bilder, Filme, Dinge als Quellen der Medizingeschichte

Bilder, Filme, Dinge als Quellen der Medizingeschichte

Organisatoren
Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.04.2018 - 13.04.2018
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Von
Katrin Pilz, Université Libre de Bruxelles / Universität Wien

Wissenschaftler/innen wenden sich zunehmend visuellen und materiellen Artefakten aus medizinhistorischen Sammlungen zu und erforschen neben der Produktion und Zirkulation dieser primär für die medizinische Lehre, Forschung und Praxis hergestellten Bilddokumente und Objekte nun auch verstärkt die Konstruktion und Inszenierung dieser, ihre Nutzung für populäre Wissenschaftskommunikation und ihren epistemischen sowie kulturellen Wert für eine medizinische Bild- und Objektkultur.1 Das 37. Stuttgarter Fortbildungsseminar hatte sich eine kritische Auseinandersetzung mit eben jenen Herausforderungen zum Ziel gesetzt. In den Seminarbeiträgen wurde nicht nur der oftmals schwierige Zugang zu Quellen und mögliche inhaltliche und methodische Herangehensweisen diskutiert, sondern auch ethische Fragen, die sich in diesen Zusammenhang ergeben.2

SABINE SCHLEGELMILCH (Würzburg) eröffnete das Seminar mit einer thematischen Einführung zum Potential nicht-schriftlicher Quellen. Sie sah methodische Probleme etwa bei der Untersuchung von nicht-fiktionalen medizinischen Filmen, die sich in vielen Fällen nicht auf das im Bild oder am Objekt zu Sehende, sondern bevorzugt auf die Erforschung von begleitenden Textquellen, wie Patientenakten, Produktionsnotizen oder Biographien der Bild-, Film- und Objektproduzent/innen stützen. Jenseits der Betrachtung dieser durchaus relevanten Schriftquellen sollte der methodische Zugang jedoch mehr das Bild und Objekt an sich und nicht lediglich deskriptive Zusatztexte in den Blick nehmen. Da zur historischen Bearbeitung dieser Quellen bislang kein methodisches Handwerkszeug vorhanden zu sein scheine, schlug Schlegelmilch vor, Fragen nach charakteristischen Strukturmerkmalen, Materialität, Inszenierung, Kameraeinstellungen, ästhetischen Merkmalen, Fragmentierung und Blicklenkung der Mediziner/innen zu erarbeiten. Ein intramedialer Vergleich mehrerer Medien soll zudem neues Wissen über Bild- und Objektpraktiken generieren. Anhand von Filmausschnitten, Wachsmodellen, medizinischen Instrumenten und Fotografien wurden diese Fragen weiter geschärft.

Zum Auftakt der Sektion „Repräsentation der Medizin“ stellte FRANK URSIN (Ulm) die Frage „Seit wann badet Kleopatra in Milch?“ und folgte schriftlichen und filmischen Quellen aus der Antike und Gegenwart, um die filmikonische Adaption der in Milch badenden Kleopatra zu klären. Ursin untersuchte, wie die kosmetische klinische Dermatologie in der Geschichte verhandelt und in populären Texten und Filmen seit den 1930er-Jahren aufgegriffen wurde. In zeitgenössischen klinischen Veröffentlichungen zur antiken Geschichte des chemischen Peelings sei wiederholt die Rede vom Milchbad. Ursin kritisiert hier zum einen den Umstand, dass die indirekt zitierten Filme nicht als Quelle in den klinischen Veröffentlichungen erwähnt wurden und auffällig ausgespart blieben, obwohl ersichtlich war, dass das Zitat aus einem popkulturellen Kontext stammte. Es war jedoch nicht Kleopatra VII., sondern Poppaea Sabina, die in Milch badete. Filme werden ungern als Quellen in medizinischen Schriften zitiert, da ein gewisses Ressentiment gegenüber dem populären Filmmedium besteht; durch dieses falsche Zitieren sei der moderne Mythos des antiken Milchbades dann weitergetragen und wissenschaftlich legitimiert worden.

MAREN C. BIEDERBICK (Ingolstadt) erforscht Medaillen aus der numismatischen Sammlung des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt. In ihrem Beitrag präsentierte sie eine Auswahl an Medaillen, die vor allem aus dem 19. und 20. Jahrhundert stammen. Als Bildträger für das Porträt herausragender Persönlichkeiten dienten diese deren Erinnerungskultur. Ihre Machart, ihr Material, die bildliche Darstellung von Mediziner/innen und Apotheker/innen, aber auch die geprägten Leitsprüche und bildlichen Motive auf der Vorder- und Kehrseite der Medaillen mussten bestimmten Vorlagen entsprechen, um Bild und Spruch ideal zusammenwirken zu lassen. Die Leitsprüche auf modernen Medaillen wurden immer mehr von Bildern verdrängt. Fragen nach den Auftraggebern und der Identifikation der abgebildeten Mediziner/innen sollten in der anschließenden Diskussion weitere Rückschlüsse auf sich ändernde Zuschreibungen beziehungsweise. Symbole des Darstellungstypus thematisieren.

SEBASTIAN WENGER (Stuttgart) wandte sich in seinem Beitrag dem Medizinerporträt im 19. und 20. Jahrhundert zu. Neben einer klassischen Bildanalyse betrachtete Wenger den zeitlichen Kontext und künstlerischen Zeitgeist ausgewählter Porträts. Hier stand die Konversation zwischen Künstler und Portraitierten im Vordergrund. Porträtierte Ärzte, als Gelehrte und Praktiker, wurden mit unterschiedlichen Attributen gemalt: Tintenfass, Buch, Totenkopf, anatomische Bilder oder chirurgische Instrumente wurden strategisch um den Arzt im Bild platziert und dienten so nicht dekorativen Zwecken, sondern der kommunikativen bildlichen Konstruktion medizinischer Symbole. Die historische Betrachtung dieser Arztporträts solle gesellschaftliche, technologische und intellektuelle Entwicklungen darstellen, die die Genese des frühzeitlichen Arztes als Gelehrten bis hin zum praktischen Kliniker, der inmitten seiner Kolleg/innen am Patienten operierend im modernen Operationssaal gemalt wird, nachzeichnen und folglich die Veränderung der engen Definition eines individuellen Porträts hin zur Darstellung des Arztes oder Klinikers in der Gruppe visuell markierten.

FLORIAN GREINERs (Augsburg) Beitrag widmete sich der Darstellung von Sterbebildern in Fernsehsendungen, die das Sterben als gesellschaftliches Konfliktthema seit den 1970er-Jahren im Kontext der Professionalisierung von säkularen klinischen Hospizen aufgegriffen haben. Audiovisuelle Medien halfen laut Greiner dabei, das Thema Sterben und Sterbebegleitung zu popularisieren und somit in das Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen. Fernsehsendungen und Filme, die etwa die Einsamkeit Sterbender im Hospiz zum Thema hatten, zielten darauf ab, den Zuschauer/innen das Unbehagen vor dem Tod zu nehmen, indem die würdevolle Betreuung von Sterbenden in den filmischen Blick genommen wurde. Serien wie die Schwarzwaldklinik griffen die Thematik auf und verhandelten somit medizinethische Grenzen und gesellschaftliche Tabuisierung in einer für die Fernsehzuschauer/innen aufbereiteten Form. Die filmische Auseinandersetzung mit dem Tod versprach, gesellschaftlichen Unsicherheiten entgegenzuwirken und eine Art Selbstbestimmung für Sterbende zu suggerieren. Die mediale Inszenierung des Sterbens sollte optimistische Zugänge zum Tod schaffen sowie Modelle des ‚richtigen’ oder ‚guten’ Sterbens entlang der aufkommenden Hospizbewegung in den 1980er- und 1990er-Jahren präsentieren.

ALEXANDER SCHIMANI (Berlin) eröffnete die Sektion „Medizinische Wissenschaftsproduktion“ und stellte Patientenfotografien in der Intersexualitätsforschung vor. Im Rahmen seiner Forschung zur ‚Praxis im Umgang mit intersexuellen Menschen‘ in der DDR der 1960er-Jahre stieß er auf eine Diasammlung mit der Beschriftung „Mißbildung der Genitale“, die an der gynäkologischen Klinik der Berliner Charité für Forschungs- und Lehrzwecke hergestellt wurde. Intersexuelle Patient/innen wurden vor und nach geschlechtsangleichenden Operationen in medizinischen Fotografien erfasst und so zum wissenschaftlichen Objekt mitkonstruiert. Schimani problematisierte den als bloßstellend anmutenden Umgang mit Patient/innen, die nicht anonymisiert zur Vorführung kamen und analysierte anhand von begleitenden schriftlichen Untersuchungs- und Diagnoseprotokollen sowie Kommentaren von früheren Patient/innen den dokumentarischen, wissenschaftlichen und psychologischen Wert dieser Fotosammlungen. In der anschließenden Diskussion wurden vor allem Fragen zum ethischen und patientenrechtlichen Umgang mit diesem historischen Bildmaterial aufgeworfen. Die Diskussion um Darstell- und Präsentierbarkeit des sensiblen Bildmaterials (nicht nur in öffentlichen, sondern auch in einem limitierten wissenschaftlichen Projektionsraum) gab Anstoß für fortführende medizinethische Überlegungen in den nachfolgenden Vorträgen.

LEANDER DIENER (Zürich) problematisierte in seinem Vortrag die Grundannahme der modernen Medizin, die darin bestehe, dass „viele Mechanismen des biologischen Körpers auf gewisse Weise selbstregulativ funktionieren“. Seit dem Beginn der modernen Hirnforschung transportierten Bilder und Filme bestimmte Vorstellungen vom Gehirn. Ab den 1920er-Jahren gingen Neurolog/innen von einer Verselbstständigung des Gehirns aus, das als selbstregulativ, selbststeuernd und eigenständig auf die Umwelt reagierend konstruiert wurde. Diese Erkenntnisse wurden erst sichtbar anhand neurophysiologischer Visualisierungen. Mittels Film war es in etwa möglich, die subkortikalen Hirnareale zu lokalisieren. Die Lokalisation bestimmter, bislang nicht sichtbarer psychischer und neurologisch funktionaler Störungen vermochte jedoch keine sichtbaren Krankheitsbilder oder Erklärung von Symptomen hervorzubringen. Mit Hilfe dieser Quellen ließen sich laut Diener vielmehr Fragen wie „ab wann und unter welchen Umständen denkbar wurde, dass wesentliche Charakteristika des Menschen nicht bewusst kontrolliert wurden“ klären.

PAULA MUHR (Berlin) fokussierte im Anschluss die frühen Visualisierungen und illustrativen Arbeiten Charcots aus dem 19. Jahrhundert, welche sichtbare Ausprägungen der Hysterie zum Inhalt hatten. Heute visualisiere das bildgebende Verfahren fMRT das Innere des Hirns und verspräche damit implizit, medizinisch ungeklärte heterogene Symptome der Hysterie – heute umter anderem als ‚Konversionsstörung‘ bezeichnet – entschlüsseln zu können. Forscher/innen gingen davon aus, dass man mit Hilfe des fMRT den Unterschied zwischen neurophysiologischen und simulierten Symptomen erkennen und somit funktionelle und pathologische Störungen lokalisieren könne. Muhr bemerkte, dass diese Bilder lediglich eine visuelle Simulation beziehungsweise Interpretation von untersuchten Gehirnaktivitäten darstellen könnten und betonte, dass der Vergleich weniger eine visuelle als eine mathematische Intention bei der Berechnung motorischer Bewegungen unterstütze. Bezeichnend sei laut Muhr auch der Umstand, dass die Hysterie als Krankheitsbild und -bezeichnung wieder vermehrt ohne kritische Auseinandersetzung mit der historischen Verwendung des Begriffs in rezenter klinischer Forschung herangezogen werde.

In der Sektion 3 – „Perspektiven auf versehrte Körper“ – behandelte KATHARINA FÜRHOLZER (Ulm) die „Repräsentation und Rezeption von Taubblindheit“ in dem Spielfilm Marie Heurtin (F, 2014), der die Geschichte eines taubblinden Mädchens erzählt, das ohne ein Verständnis für Sprache aufgewachsen war und „erst im Jugendalter eine umfassende Vorstellung von Zeichen und sprachlicher Kommunikation entwickelte“. Der Film basiert auf der 1900 erschienenen Untersuchung Une ame en prison des französischen Literaturwissenschaftlers Louis Arnould. Fürholzers Beitrag diskutierte, in welcher Weise historische und zeitgenössische Vorstellungen von Taubblindheit im audiovisuellen Massenmedium Film vermittelt wurden und unterzog Arnoulds Werk einer textkritischen Rezeptionsanalyse, um sich der Frage nach wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Reaktionen auf die im Film dargestellte Lebensgeschichte anzunähern. Die historische Vermittlung von Sinnesempfindungen im Rahmen von Behinderungen unterscheide sich laut Fürholzer im Grunde nicht von Perspektiven auf Behinderung, die die Medizinethik und Disability Studies heute diskutierten. Ästhetische Repräsentation von Behinderung sollte laut Fürholzer zudem explizit in den medizinethischen Diskurs aufgenommen werden, was bislang vernachlässigt wurde.

CORNELIA RENGGLI (Zürich) diskutierte in ihrem Vortrag die Medialisierung von Behinderung. Kulturwissenschaftliche und soziokulturelle Studien zum Thema verorteten Behinderung als Problem eines Individuums; gesellschaftliche Zuschreibungen, Repräsentationen und Forschungsmodelle präsentierten so bestimmte Vorstellungen von Behinderung als imaginierte und mediale Darstellung. Textbasierte Studien zeigten laut Renggli, dass sich der Behindertensport in der Schweiz als Maßnahme zur Rehabilitation hin zum professionellen Leistungssport entwickelt habe. Die Vortragende untersuchte nun unter sorgfältiger Betrachtung begleitender Abbildungen, ob diese jenseits von Textquellen andere beziehungsweise weitere Erkenntnisse zuließen. Bei Rengglis methodischer Analyse der verbalen und visuellen Beschreibungen sollten zentrale Fragen an die Bildquellen den Kontext, den Subtext und die extramedialen Informationen die historische Quellenanalyse unterstützen und weitere Leitfragen anregen.

LEONIE BRAAM (Berlin) präsentierte Objektbeispiele aus der zahnmedizinhistorischen Sammlung des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité und untersuchte aus dem Ersten Weltkrieg stammende medizinische Moulagen und Gesichtsprothesen, die Verwundungen und Behandlungsmethoden am Gesicht der Verletzten dreidimensional abbildeten. Diese geben als wichtige historische Informationsquelle direkt und indirekt Aufschluss über den gesellschaftlichen Umgang mit Gesichtsverletzten. Das unversehrte Gesicht als Marker für Identität und idealtypische Männlichkeit war laut Braam nicht lediglich körperlich, sondern vor allem sozial konstruiert. Durch die methodische Aufarbeitung der Objekte aus der Zeit des Ersten Weltkrieges lassen sich laut Braam die Dimensionen und Diskurse von sozialer Stellung, Identitätsfragen und der Wirkung von Gesichtsdeformationen auf hegemoniale Vorstellungen von Männlichkeit rekonstruieren.

Schnabeltassen und Nährsonden wurden in ISABEL ATZLs (Stuttgart) Vortrag als objektbezogene Hauptakteure vorgestellt. Diese pflegehistorischen Objekte aus dem frühen 19. und 20. Jahrhundert ermöglichten laut Atzl den pflegerischen Alltag als ein Handeln am Krankenbett zu re- wie auch zu dekonstruieren. Die Bewertung von unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, von sich verändernden zwischenmenschlichen Beziehungen, von Hierarchien und Materialitäten, basierend auf der Betrachtung von bislang untererforschten Pflegeobjekten, sollte Kenntnisse zu zentralen sozio-historischen Praktiken im Pflegealltag generieren. Mit der bewussten Blicklenkung auf das Wahrnehmen des Objekts mit speziellem Fokus auf Details soll laut Atzl die Wirkmacht der Objekte Aufschluss über weitere Fragen geben. Die Positionierung und Reflexion über den ärztlichen Blick etwa könnte durch die Untersuchung von pflegerischer Darstellung und (Ab)Nutzung der Schnabeltasse innerhalb der normativen Lektüre neue Blicke zur Rolle des Objektes zulassen.

HENRIK EßLER (Hamburg) eröffnete die abschließende Sektion „Medizinische Wissensvermittlung“ und betonte in seinem Beitrag den wichtigen Status medizinischer Moulagen als Sachquellen materieller Kultur, der für die objektorientierte Forschung auch Probleme und Risiken hervorbrachte. Die Analyse von Produktionsmethode und -praxis sowie auch das Heranziehen von Zeitzeug/inneninterviews der letzten Generation von Wachsmodellierer/innen unterstützte die historische Erforschung der Objekte jenseits von reinen Fragen zu Materialität und Nutzen für die medizinische und populäre Lehre und Forschung. Das Erschließen von Fallgeschichten der Patient/innen, deren Erkrankungen oder Verletzungen in Wachs gegossen wurden, sind laut Eßler allerdings schwer nachzuvollziehen. Eßler resümierte, dass sich in Objekten sowohl bestimmte Handlungen als auch die Präsenz verschiedener Akteur/innen materialisierten, die sich in Moulagen verkörpert sähen und insbesondere Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen Moulagenbildner/innen, Ärzt/innen und Patient/innen seien.

Der letzte Vortrag von KATRIN PILZ (Wien, Brüssel) stellte neue Fragestellungen zu nationalen und internationalen, zu öffentlichen und wissenschaftlichen Netzwerken wie auch ästhetischen Filmfragen, die Images und Vorstellungen von Konzepten des gesunden und kranken Körpers reflektierten, in den Vordergrund. Details zu Produktionspraktiken erörterten zeitgenössische Probleme bei der technischen, ästhetischen, didaktischen und ethischen Darstellung von Operationen und Vorher-Nachher-Bildern von Patient/innen. Der unklare ethische Umgang mit diesen ‚animierten Krankenakten’ (zum Beispiel die zentral ins Filmbild gestellten Patient/innen, die im Bild nicht anonymisiert, aber dennoch historisch schwer zu identifizieren sind) als erweitertes Kranken- und Körperfilmarchiv stellt Historiker/innen und Kultur- und Filmwissenschaftler/innen aus heutiger Sicht vor methodische und empirische Probleme.

Im Anschluss wurden alle Beiträge in Hinblick auf inhaltliche, methodische und ethische Überlegungen diskutiert. Etwaige neue Fragestellungen, die sich durch die Betrachtung von nicht-schriftlichen Quellen ergaben, wurden ebenso abgewogen, wie die sich daraus ergebenden unterschiedlichen interdisziplinären methodischen Zugänge, die sich für Bild-, Film- und Objektanalysen anboten. Vom medizin-ethischen Standpunkt stellte sich die Frage nach der veränderten Wahrnehmung moralischer Probleme, die sich durch die Verwendung nicht-schriftlicher Quellen ergab. Die vielfältigen Beiträge haben einerseits aufgezeigt, welche Potentiale für neue Fragestellungen und Herangehensweisen in der medialen und objektbezogenen Forschung liegen, andererseits aber auch ihre Grenzen und methodisch sowie medizin-ethische Probleme verdeutlicht. Das stete Neuverhandeln und Austesten methodischer Zugänge sowie die kritischere Betrachtung des eigenen Umgangs mit expliziten Visualisierungen und Objekten in der Wissenschaftskommunikation könnte weitere Lösungsansätze mit sich bringen, die dazu beitragen, die Themen der medical visual und material culture zu einem konzentrierteren Forschungsschwerpunkt weiter auszubauen.

Konferenzübersicht:

Einführung

Sabine Schlegelmilch (Würzburg): Objekt – Bild – Film: Das Potential nicht-schriftlicher Quellen in der Medizingeschichte

Sektion 1 – Repräsentation von Medizin
Moderation: Timo Bonengel (Erfurt)

Maren C. Biederbick (Ingolstadt): Das Spannende steht auf der Rückseite – Medaillen aus der Sammlung des Deutschen Medizinhistorischen Museums Ingolstadt

Sebastian Wenger (Stuttgart): Ärztliches Selbstverständnis auf Leinwand – Das Medizinerporträt im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert

Florian Greiner (Augsburg): Sterbebilder – das Lebensende in Film und Fernsehen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts

Sektion 2 – Medizinische Wissensproduktion
Moderation: Anne Phieler (Stuttgart)

Alexander Schimani (Berlin): Vom Mensch zum wissenschaftlichen Objekt. Über Patientenfotografien in der Intersexualitätsforschung

Leander Diener (Zürich): Die Verselbständigung des Gehirns. Eine Wissensgeschichte neurophysiologischer Bilder in den 1920er- und 1930er-Jahren

Paula Muhr (Berlin): Die Wiederbelebung der Hysterie-Forschung durch fMRT

Sektion 3 – Perspektiven auf versehrte Körper
Moderation: Pierre Pfütsch (Stuttgart)

Katharina Fürholzer (Ulm): Repräsentation und Rezeption von Taubblindheit im Film

Cornelia Renggli (Zürich): Dis-/Ability und Sport. Die Verbalisierung und Visualisierung von Behinderung in Veröffentlichungen zum Behindertensport 1962-2011

Leonie Braam (Berlin): „Gesichtsdeformationen und Identitätsdiskurse aus der Zeit des Ersten Weltkrieges“. Objektbeispiele aus der zahnmedizinhistorischen Sammlung des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité

Isabel Atzl (Stuttgart): Schnabeltassen und Nährsonden. Die Rekonstruktion pflegerischen Alltags auf der Basis pflegehistorischer Objektforschung

Sektion 4 – Medizinische Wissensvermittlung
Moderation: Hannes Walter (Berlin)

Henrik Eßler (Hamburg): Abbild und Artefakt: Moulagen als Sachquellen und materielle Kultur der Medizin

Katrin Pilz (Wien): Von aseptischen Bärten, fehlenden Operationshandschuhen und unscharfen schwarzen Wundöffnungen – Wiener chirurgische Filme als Quellen der Medizingeschichte

Abschlussdiskussion
Moderation: Pierre Pfütsch (Stuttgart)

Anmerkungen:
1 Vgl. Martina Heßler (Hrsg.), Konstruierte Sichtbarkeiten. Wissenschafts- und Technikbilder seit der Frühen Neuzeit, München 2006; Timothy Boon, Films of fact. A history of science in documentary films and television, London 2008; Christian Bonah/Anja Laukötter (Hg.), Health Education Films in the Twentieth Century. Rochester 2018. Material culture reference.
2 Vgl. Klaus Hentschel, Visual Cultures in Science and Technology: A Comparative History, Oxford 2014.


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